Intermezzo: Jiro Taniguchi - Ein Meister aus Japan

 Die Buchnomaden lesen mit Hingabe ihr Jahresprogramm - und vieles "außer Konkurrenz". Sie stöbern, schweifen ab und lesen solo zwischendurch - eine Fundgrube an Empfehlungen, Genre-Vorlieben und Warnungen, die an dieser Stelle jetzt ihren Platz findet. Viel Freude beim Intermezzo!


Auf neuen Pfaden zu gehen,
weil der pure Zufall, die glückliche Fügung den Leser leitet ist vielleicht von allen Literaturerlebnissen die schönste. Mir hat einmal ein weitblickender Buchhändler diesen großen Gefallen getan: ohne mich vorher zu fragen bestellte er mir den  Manga "Ein Zoo im Winter" von Jiro Taniguchi. Ich hatte vorher noch nie einen Manga gelesen, wohl aber immer Interesse an Graphic Novels, am Comic gezeigt. Nun also der "Zoo im Winter": Taniguchi beschreibt darin autobiographisch seine ersten Schritte vom Assistenten zum eigenständigen Mangaka in Tokio. Er schildert aber auch den Aufbruch eines jungen Mannes in die unabhängige, manchmal raue und verwirrende Erwachsenenwelt, zumal in der Tokioter Mangaszene. Teil dessen ist auch eine erste Liebe, die Taniguchi mit zerbrechlicher Zärtlichkeit in Szene setzt. Das ist so wunderbar ruhig und ergreifend erzählt, dass ich im Falle Taniguchis seit dieser Lektüre dem Motto auf der Rückseite der Asterix-Hefte gefolgt bin: Man muss sie alle kennen!

Eine verwirrende, schöne und sehr langsame Liebesgeschichte erzählt Taniguchi auch in "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß", einer Adaption des gleichnamigen Romans von Hiromi Kawakami, der Geschichte des "Sensei" und seiner ehemaligen Schülerin Tsukiko. Alles beginnt in einem Imbiss als Tsukiko - 38, Single und nach eigenem Bekunden "immer noch nicht Erwachsen" - auf ihren früheren Japanischlehrer (den "Sensei") trifft. 

© 2008 PAPIER, Jiro TANIGUCHI and Hiromi KAWAKAMI, FUTABASHA PUBLISHER LTD.
_© der deutschen Ausgabe Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2018


© 2008 PAPIER, Jiro TANIGUCHI and Hiromi KAWAKAMI,
FUTABASHA PUBLISHER LTD.
_© der deutschen Ausgabe
 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2018
Überhaupt wird in dieser Geschichte reichlich geschlemmt und getrunken, die beiden finden in einem umfassenden Sinn auch über den gemeinsamen Geschmack zueinander. 
Tsukiko traut ihrer Liebe zum "Sensei" nicht, hat nach dem Kirschblütenfest nichtssagende Dates mit ehemaligen Klassenkameraden und sehnt sich zurück in den Imbiß zu Seegras, Walfischspeck, Tofu und ihrem Lehrer und Freund. Der Roman ist schon beinahe zu Ende bevor der Sensei die steif-schönen Worte spricht: "Ob Sie wohl darin einwilligen würden, mit mir Umgang im Rahmen einer Liebesbeziehung zu haben?"


Die bedächtigen Dialoge, die langen Phasen der Sehnsucht, das Missverstehen der Generationen - Taniguchi macht aus Kawakamis Roman ein zweites Meisterwerk mit den Mitteln der Manga-Kunst. Während die deutsche Kritik den Roman einhellig lobte, blieb die Umsetzung Taniguchis weitgehend unbesungen. Dabei hatte Kawakami im Doppelinterview zur Erstausgabe ihren Bildzähler eindringlich gelobt. Denn schon das Einschenken und Trinken des heißen Sake zeigt und vermittelt bei Taniguchi das Wesen des "Sensei". Andreas Platthaus war das immerhin eine Hymne im Comic-Blog der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wert: "Eine der schönsten Literaturadaptionen (...), die es im Comic bislang gibt." 
Andreas Platthaus, Kurz und Knapp: Den alten Lehrer lieben

Preiswürdig: "Vertraute Fremde"

Bekannt wurde Jiro Taniguchi in Deutschland mit der 2007 bei Carlsen erschienen Graphic Novel "Vertraute Fremde": Der Architekt Hiroshi Nakahara begibt sich als 14jähriger auf eine Zeitreise in seine Jugend - und wieder ist es vor allem die leise Poesie, die den Leser fesselt. Gleichzeitig eröffnet Taniguchi dem europäischen Leser die Welt Japans in den sechziger Jahren mit ihren Prinzipien, Ritualen und Gepflogenheiten. Zehn (!) Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in Japan wurde Taniguchis "Vertraute Fremde" auf dem Erlanger Comicsalon 2008 mit dem Max und Moritz Preis für den besten Manga geehrt. 

Jiro Taniguchi (1947-2017), ©Carlsen Verlag GmbH 
Mangas in der Erzählform Taniguchis haben es am deutschsprachigen Markt offenbar schwer, 
unterdessen sind bei Carlsen "Vertraute Fremde" und "Ein Zoo im Winter" vergriffen, weitere zehn "Taniguchis" sind allerdings noch im
Programm, darunter die wunderbaren Erzählungen "Der spazierende Mann" und "Der Kartograph". Neben Carlsen verlegt 
Schreiber und Leser die Mangas von Jiro Taniguchi, unter anderem das
fünfbändige Bergsteigerepos "Gipfel der Götter". Längst sind noch nicht alle Werke aus dem Japanischen übertragen, insofern dürfen Fans
weiter auf die deutschen Verlage hoffen. Aus Jiro Taniguchis Feder wird es leider keine weiteren Geschichten geben, er starb 2017 mit 69 Jahren.  



Kommentare

  1. Habe die Adaption von Tanaguchi "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß" gelesen und war auch begeistert!

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