"Siegfried Lenz, Der Mann im Strom": Vom Stolz der Arbeit

Ein Lichtblick ausgerechnet unter Wasser in einem schwachen Bücherjahr für die Buchnomaden:

"Der Mann im Strom" von Siegfried Lenz. 

Wir befinden uns in den fünfziger Jahren, die Verheerungen des Krieges sind im Bild der Städte und im Gemüt der Menschen noch überall sichtbar. Der Held des Romans, eben jener Mann im Strom, ist alleinerziehender Vater eines kleinen Jungen und einer halbwüchsigen Tochter. Berufstaucher Hinrichs ist arbeitslos, alt und ohne Aussichten. Also fälscht er sein Taucherbuch, macht sich mit Rasierklinge, Messer und Federhalter jünger und arbeitsfähig. Das gelingt, er kommt wieder auf die Beine, kann seine Familie ernähren, aber die Fälschung, die Fälschung des verzweifelten, ehrbaren Arbeiters schwebt die ganze Zeit über ihm und wird am Ende entdeckt. In einem letzten Dialog mit seinem Chef vergleicht er sich mit den Wracks, die sie aus dem Hamburger Hafenbecken holen: "Ich habe mein Alter fein abgedichtet und bin noch einmal aufgeschwommen. Ich hätte mir überlegen müssen, dass bei allem nur ein Schrottpreis drin ist, nicht mehr. Viel wichtiger aber noch als der Schrottpreis ist, dass das Wrack aus dem Hafen verschwindet, damit neue Schiffe anlegen können."

Kämpfer unter und über Wasser

Zwischen Fälschung und Entdeckung aber beweist sich Hinrichs als Kämpfer im Hamburger Hafenschlick und für seine Familie. Er findet in Kurt Sommer, kurz Kuddl, einen Freund fürs Leben und bewahrt seine Tochter vor der Ehe mit Manfred, Angeber, Kleinkrimineller und eben Vertreter einer Generation der gewieften Schlaumeier, der Hinrichs auf keinen Fall Platz machen will.

Die Buchnomaden waren vom Plot und den Dialogen nicht durchweg begeistert, aber wie Lenz die Atmosphäre der Arbeit und des Lebens im und am Hafen beschreibt, das hielten dann doch alle für große Kunst - die Baracken, die Schlepper, der Taucherprahm, die Schleusen, der Strom - das ist wunderbares Kopfkino. Vor allem jene Momente wenn Hinrichs im schweren Anzug in das Dunkel des Hafens abtaucht, Wracks untersucht und im trüben Wasser eine mögliche Bergung durchexerziert. "Hinrichs sah mit seinen Händen: er tastete sich an dem großen Wrack entlang, er bewegte sich in der schwarzen Tiefe des toten Hafenbeckens, dicht neben der Bordwand einen 6000-t-Schiffes, das von einer einzigen Bombe neben der Pier versenkt worden war."

Lenz gelingen grossartige Szenen, wenn zum Beispiel Hinrichs Tochter Lena und Manfred eine Nacht im Sockel des Bismarck-Denkmals verbringen oder Kumpel und Kollege Kuddl die lebensmüde Lena aus dem Wasser fischt: "Das Wasser war kalt und ölig und schwer, und er spürte einen unbestimmbaren flächigen Schmerz auf der Haut, und er drehte sich unter Wasser mit ausgestreckten Armen im Kreis und schwamm schräg nach oben. Und während er hinaufruderte, streifte sein Gesicht Lenas Mantel." 

Einen Buchnomaden begeisterte, das Lenz dem Wert der guten Arbeit ein Denkmal setzt, auch im "zaghaft, schönen Kontakt" zum neuen Kollegen Kuddl. Andere hielten das alles für "zuviel Taucherei, aber eine berührende Geschichte über die Familie und das Glück mit dem Vater auf die Schiffsschaukel zu steigen." Lenz sprachliche Virtuosität war indes unbestritten und wer´s nicht lesen mag, kann in zwei wunderbaren Verfilmungen mit Hans Albers und Jan Fedder erkennen, was eine gute Geschichte vermag.

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