"Hideo Yokoyama, 64": Oha ! Ein Klotz, ein japanischer

10 Jahre hat Hideo Yokohama an seinem Krimi "64" geschrieben und man darf sagen die Mühe hat sich gelohnt. So jedenfalls sahen es unisono, wenn auch unterschiedlich motiviert, die Buchnomaden.

Held dieser 760 Seiten ist Yoshinubo Mikami, Pressedirektor in einem japanischen Polizeipräsidium - Ehemann, Vater, Moralist, Workaholic und von ganzem Herzen Polizist. Drei Erzählstränge werden uns mit der Geschichte von "Direktor Mikami" präsentiert. Zunächst die Geschichte eines ungelösten Kriminalfalls aus dem Jahr 1989, nach japanischer Zeitrechnung das 64. Jahr der Showa-Zeit und das letzte Regierungsjahr des Kaisers Hirohito. Der Fall "64" beschäftigt das ganze Präsidium noch immer und Mikami, obwohl als Pressedirektor nicht mehr zuständig, löst am Ende das Rätsel um den Tod einer Siebenjährigen. Neben der Spannung aus dem Fall an sich ist es vor allem Mikamis Kampf gegen den "Apparat", den Yokohama virtuos beschreibt. Die zweite Ebene der Geschichte ist das private Schicksal Mikamis und seiner Frau Minako: Ihre Tochter ist verschwunden - vielleicht nur weggelaufen, womöglich Opfer einer Gewaltat, die Suche dauert im Romanverlauf an. Die Eltern verzweifelt, manchmal entfremdet, auf der Suche nach Gründen, ein ewiges: "Was haben wir falsch gemacht?" Auch das mit sanftem Blick auf das Paar und die Familie wunderbar erzählt. 

Aber das stärkste Element des Romans sind die Innenansichten des japanischen Polizeibetriebs aus Sicht der Pressestelle: das Verhältnis von Ober und Unter, Zuneigung, Intrigen, Opportunismus, Bewunderung, Arbeitsmoral, Professionalität, Durchsetzungskraft, echter Teamgeist und Schmutzeleien. Das ist gerade für den nichtjapanischen Leser überraschend anders mit seinen formalisierten und ritualisierten Abläufen - eine faszinierende Innenansicht. Insofern liegt der Klappentext natürlich gründlich daneben, wenn er vom Autor als dem japanischen Stig Larsson spricht. Ein glühender Verehrer von "Johan Holtrop" war der Meinung, Yokoyama sei vielmehr der japanische Rainald Goetz.


Wunderbare Figuren, Japan hautnah

Soviel Plot und Psychologie begeisterte die Buchnomaden: "Ein gewaltiger Kriminalroman", dessen Held sich nach einhelliger Meinung in der Krise entwickelt und bewährt. Insgesamt fand die Nomaden das Ganze sehr gut zu lesen, ein Pageturner! Dennoch kam vereinzelt Einspruch; eine Minderheit plädierte für "beschwerlich, aber wertvoll" und "einen Hauch langweilig." Verwirrend aber schön war die Aussage: "Total super, ich habe mich gewundert, dass ich es so spannend fand." Die Figurenzeichnung sahen die Buchnomaden als große Stärke des Romans: ein Telefon-Techniker, der glaubt am Tod des siebenjährigen Mädchens mitschuldig zu sein und 14 Jahre sein Zimmer nicht verlässt, ein gebrochener Vater, der trotzdem nicht aufgibt, ein Ermittler, der für die Wahrheit seine Existenz aufs Spiel setzt, die Pressemeute, die Dompteure der Presseabteilung und natürlich Mikami selbst - gewitzt und unkonventionell. Kurzum: eine packende Kriminalgeschichte aus Japan und vor allem über Japan.



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