"H. D. Thoreau: Walden" - Gemetzel am stillen Wasser

Wer hätte das gedacht, der Rückzug H. D. Thoreaus an einen stillen Waldsee in Neuengland hat die Buchnomaden heftig bewegt: Fassungslos die gläubigen Thoreau-Jünger über die beschränkte Sicht der Kritiker, ratlos die Kritiker über die Hingabe der Schwärmer an die vermutete Weitsicht des Dichters.

Kurz zum Inhalt: Henry David Thoreau, Sohn eines Bleistiftfabrikanten in Neuengland, zieht sich 1845 nahe seiner Heimatstadt Concord für zwei Jahre in den Wald zurück, lebt am Waldensee, baut ein Haus, pflanzt Bohnen, geht angeln, will die Natur und sich verstehen und entwickelt daraus seine Philosophie über ein gerechtes und gelungenes Leben.

Idyll unter Beschuss

Die Freunde Thoreaus, durch das Studium der Biographie und weiterer Sekundärliteratur besser vorbereitet als die Kritiker, sahen "ein beindruckendes, erhellendes Werk - erstaunlich modern und seiner Zeit voraus". Die Kritiker, schlechter informiert und in ihrer Argumentation etwas kurzatmig, urteilten aus dem literarischen Bauch heraus: Das Ganze sei nicht nur kreuzlangweilig, sondern ausserdem die unerhebliche Betrachtung eines feinen Mittelklasse-Pinkels, der keinerlei Risko eingehe, die ansässigen Bauern schlecht mache und von oben herab alles besser wisse. Soviel undifferenziertes Schwadronieren kam der Gegenseite gerade recht: Ein früher Gegner der Sklaverei sei er gewesen, habe neue Formen des Schulwesens entwickelt, sich mit den Ureinwohnern auseinandergesetzt, habe die Probleme des technischen Fortschritts erkannt und nicht nur das - angefüllt mit wertvollen Sätzen und Erkenntnissen über das eigene Leben und Wirken sei das Werk. Die dunkle Seite der Literaturkritik ließ sich nicht lange bitten: "Alles nur Kalendersprüche, missonarisch nervig ohne argumentative Schärfe und auch noch wahnsinnig unpolitisch."

So ging es munter weiter - zeitweilig zwischen die Fronten gerieten die Unentschiedenen, die durch den verwirrenden Hinweis "Walden" sei "gut und langweilig", wohlmöglich versöhnen wollten. Man müsse ausserdem immer mal wieder ´reinlesen und das Buch studieren. Die Kritiker hielten das für reine Zeitverschwendung, während auf der wohlwollenden Seite des Tisches nur noch Kopfschütteln übrig blieb für soviel verbissene Ablehnung eines großen Schriftstellers am stillen See. Kurzum: Alle hielten den Abend für durchweg gelungen.



Kommentare

  1. Voll auf den Punkt! Man könnte meinen, du wärst neutral gewesen. Ein guter Abend war das.

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  2. So kontrovers war es schon lange nicht mehr : )

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