"Lao She: Rikschakuli" - ein chinesisches Leben

Lao Shes "Rikschakuli", veröffentlicht 1936, gilt heute als eines der wichtigsten Werke der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert. In Lao Shes Leben wiederum spiegelt sich die Geschichte Chinas vom chinesisch-japanischen Krieg in den 30er und 40er Jahren über die Gründung der Republik 1949 bis zur Kulturrevolution 1966 wider. Zunächst mit "Rikschakuli" und "Vier Generationen unter einem  Dach" - einem Roman über die Zeit der japanischen Besatzung - ein anerkannter Autor und nach Wanderjahren ab 1949 zurück in seiner Heimatstadt Peking wird er 1966 Opfer des Terrors der Kulturrevolution. Von den Roten Garden als Intellektueller misshandelt und drangsaliert ertränkt sich Lao She 1966 im See des Stadtparks westlich vom Kaiserpalast. Erst unter Deng Xiaoping wird er 1978 im Zuge der beginnenden Reformen und der Überwindung der Kulturrevolution rehabilitiert. In Qingdao, wo ein Großteil des "Rikschakulis" (Original in Umschrift: "Luotuo Xiangzi", "Kamel Xiangzi") entstand, erinnert heute ein Museum an Autor und Werk.

Augen auf bei der Übersetzung

Obwohl in China berühmt und auch ins Deutsche übersetzt, ist Lao Shes Roman nur noch antiquarisch zu bekommen. Wer zum leicht vergilbten "Rikschakuli" greift muss allerdings genau hinsehen, es gibt eine Übersetzung (Diana Verlag Zürich 1947) auf Basis des englischen "Rikscha Boy", die die Geschichte gehörig umschreibt und neben anderen Änderungen mit einem Happy-End erfreut - im Gegensatz zum düsteren Ausgang des Originals. Dem interessierten Leser seien also die Ausgaben aus dem Suhrkamp-Verlag empfohlen, übertragen aus dem Chinesischen. Dass der Rikschakuli heute in keinem deutschen Verlag mehr angeboten wird ist so überraschend wie unverständlich zeichnet der Autor doch ein Bild der Pekinger Stadtgesellschaft in den 30er Jahren, das auch das heutige China beleuchtet.

Wunsch und Wirklichkeit 

Doch zum Roman: Unser Held, ein Bauerjunge vom Land kommt in den 30er Jahren in die Hauptstadt Peking und alle seine Träume kreisen um die eigene Rikscha, er ist jung, unverbraucht, ehrgeizig, kann schneller und formvollendeter Laufen als alle anderen und glaubt fest an seinen Aufstieg. Xiangzi ist ein anfangs glücklicher und hoffnungsvoller Aufsteiger und Streber, ein reiner Tor, naiv, aber zielstrebig: "er dachte langsam, aber er dachte gründlich". Kaum hat er sich die erste Rikscha zusammengespart, denkt er an die zweite. Aber schon nahen die ersten Rückschläge, er wird überfallen und verliert alles, findet Anstellung bei einem Menschenfreund namens Cao, der allerdings ins Visier der Geheimpolizei gerät - Flucht und Erpressung - und wieder muss Xiangzi von vorne anfangen. Er gerät in die Fänge einer "Tigerin", die ihn will und bekommt, verliert aber Frau und Kind bei der Geburt. Das wahre und reine Liebesglück verschmäht er und wird es bitter bereuen. Sein Leben misslingt ihm, es stellt sich ihm in den Weg, sein Scheitern ist schon früh unausweichlich. Wille und Tatkraft bleiben machtlos gegen eiserne Normen und festgefügte Ordnungen.

Die Buchnomaden haben mitgelitten mit unserem Helden und waren begeistert über Atmosphäre und Dichte des Romans, die Schilderungen seiner Touren durch die Stadt, seiner Sehnsucht nach Auskommen und Familienglück, der Widrigkeiten mit denen er zu kämpfen hat. Gleichzeitig litten wir an seiner Naivität und hätten in den Roman hineinrufen mögen - Ratschläge und Warnungen, um sein Schicksal zu wenden. Im "Rikschakuli" erlebt der Leser Menschenfreunde, Geschäftemacher, arme Schlucker mit Weitsicht, echte Liebe, Sehnsucht, Ausweglosigkeit und Armut an der Grenze zum Hungertod. Gleichzeitig wird uns Peking und China in den 30er Jahren lebendig - ein Kunststück guter Literatur. Die Buchnomaden jedenfalls empfehlen den Weg ins nächste Antiquariat: Wiederentdeckung eines chinesischen Klassikers für sechs Euro.

Kommentare

  1. Die Buchnomaden haben auch hier nachgefragt: Im Suhrkamp/Insel-Verlag ist derzeit keine Neuauflage von Laos Shes Rikschakuli geplant, bei Insel erschien der Roman zuletzt 1987. Hier liegen allerdings nur die Rechte für die deutsche Übersetzung von Florian Reissinger aus dem Chinesischen. Die Rechte für die Übersetzung von Marianne Bretschneider aus dem Amerikanischen (Rikscha Boy) lagen bei Volk und Welt und sind vermutlich an Luchterhand/Random House gegangen. Die Buchnomaden bleiben dran - vielleicht können wir ihn ja wiederbeleben unseren tragischen Helden. Und noch eine gute Nachricht für Freunde von Lao Shes "Vier Generationen unter einem Dach". Auf Nachfrage hat der Unionsverlag bestätigt, dass eine Neuauflage in die Planungen aufgenommen ist, ein Termin steht allerdings noch nicht fest.

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