Kleingeist und Grössenwahn - die tägliche Arbeit literarisch seziert

Angestellte aller Länder vereinigt Euch

Die Arbeitswelt in "Johann Holtrop" von Rainald Goetz

Rainald Goetz´ Roman "Johann Holtrop" hat die Literaturkritik bewegt, aber nur selten überzeugt. Volker Weidermann (FAZ) vermisst Mitleid und Mitgefühl, Rüdiger Jungbluth als Wirtschaftsredakteur der "Zeit" deckt Mängel in der Benennung von Investmentfonds und Steuerarten auf, immerhin - seine Kulturkollegin Iris Radisch lobt einen "Hasstext mit viel negativer Energie." Andreas Platthaus (FAZ) fällt ein Urteil  auch für kommende Arbeiten des Autors: "Goetz als Romancier muss nicht mehr sein." Sebastian Hammelehre bei Spiegel-Online ist amüsiert und begeistert, findet Wucht und Rasanz und "ein brillant gemaltes Sittenbild, (...) ein Bild der Macht an sich."

Wir wollen jenseits der Literaturkritik einen Seitenblick auf dieses Buch werfen. Die Romanqualitäten von Johann Holtrop seien an dieser Stelle einmal ausnahmsweise ausgeklammert - uns geht es um die Szenerie, um Arbeiter, Angestellte, Ober und Unter, kurz: um die tägliche Arbeit.

Die Hauptfigur des Romans, eben jener Johann Holtrop, ist Vorstandvorsitzender der Asperg AG, sein Wohl und Wehe und das seiner Untergebenen, seiner Kollegen, seiner Familie und der Unternehmerfamilie Asperg erzählt dieser Roman. Er führt uns also in das deutsche Wirtschaftssystem der Jahre ab 2001 und zeigt uns Innenansichten einer deutschen Aktiengesellschaft. Aber wie treffsicher sind diese Innenansichten wirklich?

Niederungen der eigentlichen Arbeit

Vom Autor fein beobachtet: der Chef im Maschinenraum - aus Unmut über die Leistungen der Fachleute, aus Ungeduld oder aus schierer Not begibt sich die Führungsetage in die Niederungen der eigentlichen Arbeit:

"Nach nur einer Woche des neuen Regimes, der sogenannten Schönhausenoffensive Holtrops, sehnten sich die Mitarbeiter in Holtrops Office of the Chairman nach dem alten Überfliegerholtrop, der nie da war, dafür medial in hysterischer Weise permanent über- und omnipräsent.(..) Der neue Holtrop, der ernsthafte, in Schönhausen täglich sechzehn Stunden für Asperg vor sich hin schuftende Arbeitsholtrop, war ein echtes Problem. Die eigentliche Arbeit wurde durch sinnlose Anfragen und Nachkorrekturen aufgehalten, und der ständige Nahkontakt mit Holtrop führte gerade bei den fachlich hochqualifizierten Leuten zu Skepsis, schnell zu einer Haltung der Verachtung Holtrop gegenüber. (...) Jetzt war Holtrop dauernd da, zeigte Inkompetenz, Hysterie, Fahrigkeit und seinen in nichts fundierten Hochmut als tägliche, den Arbeitsprozess bestimmende Qualitäten vor, das zerstörte jede Autorität."

Pointiert und bis zur Karikatur überzogen - dennoch treffend und wunderbar verdichtet.

Der Radikalangestellte

Rainald Goetz arbeitet weitere Figuren heraus, die in jedem AG-Theater etablierte Charaktere sind - für das Überleben des Unternehmens unverzichtbar, gleichwohl häufig unbeweglich bis zur Verweigerung: der "Radikalangestellte".

"Balschke agierte in allem nach dem Grundsatz Schaden abzuhalten von Asperg. Er war Radikalangestellter der Firma in dem Sinn, dass er sich  keiner einzelnen Person, noch nicht einmal dem alten Asperg, schon gar nicht etwas so Vergänglichem wie dem aktuellen Vorstandsvorsitzenden, der zufällig gerade Holtrop hieß, verpflichtet fühlte, sondern einzig dem, was er für das rechtlich definierte Wohl der Firma hielt. (...) Außerdem in Blaschkes Fokus: die Korrektheit der Delegationskaskade, (...).

Der aalglatte Unter

Nächster Auftritt: der Büroleiter, Prototyp des aalglatten Unter, geschätzt aber ungeliebt, weil tadellos und überlegen.

"Riethuys war der perfekte Angestellte, die Effektivität des Angestellten im Extrem. Er war realerweise das, was Holtrop im Blendermodus zu sein vorgab; informiert, schnell, klar entschieden. Riethuys lächelte. (...).Es war das Lächeln des Angestellten, des Unter, der sich den Zugang zum Ober, obwohl er sich ihm überlegen fühlt, von unten her erhalten muss, denn so ist der Weg faktisch vorgegeben von der Hierarchie, (...) Er (Riethuys, Anm. d. Verf.) enthielt sich bei seinem Vortrag prinzipiell eigener Ansichten, referierte immer nur ganz streng den Stand der Sache. Das wirkte kühl und vernünftig, aber in der Kombination aus Milde und Eisigkeit, die Riethuys dabei kultivierte, auch irgendwie gestört maschinenhaft."

Kapital und Arbeit

Auch feine Nuancen im distanzierten und schwierigen Verhältnis von Geschäftsleitung und Arbeiterschaft, weiß Rainald Goetz zu formulieren. Zur Eröffnung einer neuen Druckstraße hält Holtrop eine Rede, die ihm, obwohl von den Arbeitern zunächst wohlwollend aufgenommen, entgleitet. Er verliert sich in einem Durcheinander aus nötigen Personalanpassungen, Klassenkampf und dem hohlen Appell an das gegenseitige Miteinander. Dann lenkt Goetz unseren Blick auf die vor der Bühne versammelten Arbeiter:

"Die Arbeiter applaudierten, Holtrop strahlte, die Kameras klickten.(...). Die Arbeiter blieben stehen und schauten den Managern und Nichtstuern mit Spott und Verachtung hinterher, was die Scham, die sie sofort über ihren eigenen Reflexapplaus auf Holtrops Schwachsinnsrede hin empfunden, ganz gut ausgleichen, abdämpfen und herunterdrücken konnte, bis, Verachtung gegen Scham im Nullausgleich verglichen, der Spott übrigblieb als relativ angenehmes Normalgefühl."

Treffer - das ist der Nachgeschmack einer missglückten Mitarbeiterversammlung.  

Wie man sich Boden unter die Füße redet

Und selbst kleinste Szenen im täglichen Einerlei zwischen Chef und Mitarbeiter, weiß Goetz auf den Punkt zu bringen. Holtrops persönlicher Referent Dirlmeier, vom Tempowahnsinn des Chefs verunsichert, referiert in der morgendlichen Lage:

"Dirlmeier hatte einen Sprechzettel in der Hand, den er lange anschaute, dann referierte er die Termine der Woche und des heutigen Tages. Beim Referieren redete er sich langsam Boden unter die Füße, dann wieder der Blick auf den Sprechzettel. Wieder dehnte sich die Zeit.(...) Noch mehr Zeit verging, in der Dirlmeier so tat, als müsse er jetzt zu erschließen versuchen, ob Holtrop ihm eventuell etwas Tadelndes signalisiert habe, und wenn ja, was genau."


Goetz seziert Freude und Wahn des alltäglichen Arbeitslebens, überzeichnet, stellt bloß und klar - und ist damit ganz nah dran. Ein Roman aus dem Leben gegriffen. Rainald Goetz als Romancier muss sein.













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